Excerpt
Neville, Maxi und die Pathfinder
Wenn man zum sdwestlichsten Zipfel Jamaicas kommen will, fhrt man am besten ber Mandeville nach Southfield.
Southfield besteht aus nicht mehr als ein paar Dutzend Husern, einem kleinen Supermarkt und einer Eisenwarenhandlung, betrieben von Mrs. Gale und ihren beiden Shnen.
Links ab gehts zum Lovers Leap. Die Klippe hat ihren Namen von zwei jungen Verliebten, die im 18. Jahrhundert von ihr aus in den 200m tiefen, sicheren Tod sprangen...
Sie wollten heiraten, aber die Plantagenbesitzer, deren Besitz auch sie waren, wollten sie verkaufen. Getrennt...
Hier, an dieser Stelle ist es, wo man keinen Horizont sieht. Man wei nicht, wo der Himmel aufhrt und die See anfngt.
Und beide sind strahlend blau.
Wenn man hier steht, kann einem durch den fehlenden Horizont schwindlig werden. Sicher ist, der Ort hatte stets eine ganz eigene Anziehungskraft.
Von Southfield, geradeaus, geht die Strae steil bergab. Sobald man ber den Rand des kleinen Plateaus fhrt, schlgt einem mit voller Wucht der wilde, se Duft des Seymore Grass entgegen. Dieser Duft ist der betrendste, den ich in meinem ganzen Leben atmen durfte. Du meinst, ihn trinken zu mssen...
Die ganze Ebene besteht aus wenig mehr als Sand, Seymore Grass, Sulenkakteen, Pope Heads (eine Kugelkaktusart, so bezeichnet, weil irgendwann jemand, recht respektlos, eine hnlichkeit mit dem Kopf eines Papstes zu sehen glaubte).
Aber am wichtigsten in dieser sprlichen Flora ist der Lignum Vitae Baumund am schnsten. In der Blte sieht jeder Baum aus wie ein riesiger Strau von Vergimeinnicht. Lignum Vitae ist das hrteste und schwerste Holz der Weltes sinkt im Wasser wie ein Stein. In vergangenen Tagen drehte man aus seinem Holz Kanonenkugeln und Geschtzrollen. Sollte nun jemand meinen, aus dieser Schilderung das bekanntere Bulletwood zu erkennen, der liegt falsch. Denn Bulletwood ist ein Softy im Vergleich. Lignum Vitae ist nicht nur hart, es pat auch zu der gnadenlos harten Landschaft und den Menschen, die von ihr geprgt wurden. Ein Landstrich, den man eher in Arizona oder New Mexico vermuten wrde als auf dieser tropisch paradiesisch vermarkteten Insel.
Wenn der Wind, von der See kommend, ber das Seymore Grass weht, meint man, die Kakteen und Lignum Vitae Trees wrden von einer Flut aus silbrig-goldenen Graswogen umsplt...eine duftende Flut.
Frher verirrten sich nur Piraten hierher...wie man noch heute an Namen wie Treasure Beach, Galleon Bay, Fort Charles und Billys Bay erkennen kann. Und es sind auch deren Nachfahren, die hier lebenvermischt mit gestrandeten Seeleuten und anderen Individualisten. Alle, ausnahmslos, Fischer.
So auch Neville Dicker und Maxi Parchment. Ihr Dorf heit Calabash Bay. Wegen der Kalebassenbume. Deren Frchte knnen so gro werden wie eine Sugar Baby Melonesie hat die weitere Umgebung berhmt gemacht. Berhmt gemacht durch einen anderen Schlag harter Menschendie Dryland Farmer.
Die Kalebassen dienen, ausgehhlt und von ihren Samen befreit, als Wasservorratsbehlter, auch auf See, und halbiert als Schpfkellen in den Booten.
Ja, die Boote.
Sie sind etwas ganz Besonderes.
Es sind eigentlich Einbume. Zwischen sechs bis zwlf Meter lang. Je lnger, desto besser. Denn wie jeder Seemann wei: Lang luft.
Der Rumpf besteht aus dem Holz des Cottonwood Tree. In den Hgeln wird lange gesucht, bis der richtige Riese gefunden ist. Dann wird er unter riesigen Mengen von Schwei, Mckenstichen und Marabunta-Attacken gefllt, entastet und zur nchsten Strae gerckt. Marabuntas sind die heimischen Hornissen, leicht zu erkennen an den langen Beinen, die herunterhngen wie die Greifvorrichtungen an einem Sikorski Lastenhubschrauber und dem gleichen Flugverhaltenund natrlich unverwechselbar durch den Stich aller Stiche...
Hat man den Cottonwood Tree endlich an der Strae, geht es per Tieflader zum Boat Yardmeistens ein kleines Grundstck direkt am Strand mit ein paar Schattenbumen.
Ich war dabei, als Nevilles Baumstamm ankam und erlebte einen Kraftakt von beispielloser Zhigkeit, bis der Riese endlich die Seaside erreicht hatte. So nennen die Mnner ihre Heimat liebevoll: An der Seite der See, die ja auch weiblichen Geschlechts ist...
So wie der Baum seinen Weg zur Seaside fand, sollte er auch spter nach seiner Verwandlung in ein rassiges Kanu seinen Weg durch die See finden.
Fr Neville stand der Name schon fest:
Pathfinder. Die Pathfinder wurde auf Kiel gelegt. Auf Holzrollen aus Lignum Vitae, die schon den Kiel so vieler Kanus geduldig getragen hatten. Entlang der Seiten des Stammes zum Absttzen Holzprgel.
Und dann konnte die Arbeit beginnen. Langsam, unertrglich langsam, wird der Stamm geformt. Er bekommt seine sptere elegante Faon mit der Adz oder mehreren dieser Hacken mit Schneide und kurzem Stiel.
Und je mehr gehackt und gehauen wird, desto mehr nimmt der Baum den Willen der Bootsbauer an. Oder besser: Bootsschnitzer. Denn es ist eine groe Kunst und jeder Baum ist anders, hat einen anderen Charakter.
Bis zu zwei Monaten hacken sie. Gallonenweise wird tglich das leicht salzige Wasser der Seaside-Brunnen getrunken. Es gibt kein Besseres, um einen echten Durst zu lschen.
Schlielich ist der Rumpf, sprich der Kiel, dann soweit, die Spanten zu empfangen. Die Spanten sind gewachsenLignum Vitae-ste mit der richtigen Kurve werden eingespannt und dann erst kommen die Bordwnde hinzu. Denn der Cottonwood Tree liefert nur den Rumpf. Aufgebaut wird mit Planken aus tropischem Hartholz, beispielsweise Mahoe oder Mahogoni. Die Hhe der Bordwnde kann bis zu eineinhalb Metern betragen.
Dann kommt der groe Tag. Alle kommen und es wird gefeiert. Proofrum (65%!) und Red Stripe Beer. Fisch vom Rost. Mandevillebread (ausnahmsweise gekauftes) und Cassavabread, das dnne, fladenartigees dient auch als Proviant auf Seeund schlielich Bammy, die dicke Variante mit Kokosnul.
Alle Mnner legen Hand anunter den bewundernden Blicken des Damenflors von Treasure Beach und dem Gejohle der Kinder.
Das Boot wird auf den Rollen ber den Strand in die See geschoben.
Nur der Captain, der Skipper, steht im Boot.
Und dann schwimmt sie...wie berall auf der Welt, ob aus Holz, Stahl oder eben aus einem Cottonwood-Riesen, wurde auf rtselhafte Weise ein Schiff...
Fachmnnisch die Komplimente in Patois, dem jamaikanischen Dialekt:
She proud!
She riding high.
She a fighteryou can tell!
Und als ob er noch einmal eine Braut gewhlt habe:
Neville, she goin good to you. Congrats!
Neville kommt rber zu mir und sagt: You goin fe paint she name for me?
Ich stimme zu. Er will, da ich ihm den Namen des Schiffs aufmale und der Schriftzug soll reflektieren, selbst, wenn nachts ein Handscheinwerfer auf sie gerichtet ist, soll sie stolz verknden...
|